7. Frage nach der Erinnerung

Die Tafel soll erinnern an die Zeit nach 1945, in der durch die Musik Bachs auch Versöhnung mit Kriegsgegnern geschehen ist.

Siebtens: Wer sich die Frage nach der Erinnerung stellt, muss klären, was soll wozu erinnert werden. Konkret: An was soll uns die Gedenktafel zu Kurt Thomas und Helmut Walcha erinnern. Der Text ist allseits bekannt: Dem Werk Johann Sebastian Bachs verpflichtet wirkten in dieser Kirche. Die Erinnerung bezieht sich auf seine Zeit von 1945 bis 1956 als Kantor dieser Kirche. Gerade in dieser Funktion hat Kurt Thomas nach den Presseberichten, die mir vorliegen, zur Verständigung und Versöhnung beigetragen. Auf Konzertreisen erschloss er mit seinem Chor und Orchester die Werke Bachs. Diese Reisen geschahen ganz im Interesse der damaligen Bundesregierung, sich auf vielfältigen Gebieten mit den ehemaligen Kriegsgegnern und besetzten Ländern zu verständigen. Die Presseberichte dokumentieren paradoxe Situationen. In Paris geriet im Konzertsaal das Publikum bei den Werken Bachs in ergriffene Begeisterung, während draußen dem Bus des Chores die Reifen zerstochen wurden. Es lässt sich an dieser an sich fast banalen Anekdote die Ambivalenz der Versöhnung deutlich machen. Kurt Thomas hat dabei vor allem die Sprache der Musik erklingen lassen. Theodor Adorno hat einmal über die Musik Schuberts gesagt, sie rühre uns zu Tränen, ohne dass wir wüssten, warum. Sie tut dies, weil wir so noch nicht sind, wie jene Musik es verspricht, und im unbenannten Glück, dass sie nur so zu sein braucht, dessen uns zu versichern, dass wir einmal so sein werden. Wir können sie nicht lesen; aber dem schwindenden, überfluteten Auge hält sie vor die Chiffren der endlichen Versöhnung“ 3
Ähnliches ließe sich wohl auch von der Musik Bachs sagen. Sie steht selbst für jenes Ergriffensein von einer Macht und Kraft, die mehr ist als wir selbst und die unser Leben trägt. Sie stiftet auf diese Weise Versöhnung. Ganz offensichtlich haben die Bachinterpretationen genau in diesem Sinne Versöhnung zu vermitteln vermocht. Dies wäre m. E. in die gegenwärtige Diskussion sehr viel stärker einzubringen, als dies bislang geschehen ist, weil es in theologischer Perspektive einen Grundgedanken von Versöhnung zum Ausdruck bringt. In all der Schuldigkeit, die unser Dasein umschließt, ereignen sich immer wieder Zeichen der Vergebung und Versöhnung.